Hier findet Ihr alles, was man über Amapiano wissen sollte: die Producer, besten Tracks und warum Social Media eine große Rolle spielt.
Dass die House-Musik vielfältig ist, wissen wir bereits: Das beliebte Genre der elektronischen Musik zeichnet sich durch seine Vielzahl an Subgenres aus, die sich häufig nur in Nuancen voneinander unterscheiden. Den wirklichen Unterschied hören meist nur die eingefleischten House-Fans heraus. Eine neue Art der House-Musik aus Südafrika revolutioniert zurzeit die gesamte Musikwelt nicht nur mit ihren neuen Klängen, sondern vor allem mit ihrer neuen Art des Marketings und Vertriebs: Amapiano.
Kurzgesagt werden bei Amapiano der typische Deep-House-Sound mit der ebenfalls aus Südafrika stammenden Musikrichtung Kwaito , Gqom sowie Jazz und Folk vermischt. Typischerweise haben Amapiano-Tracks eine Geschwindigkeit von 111 bis 113 beats per minute (=bpm). Amapiano ist damit langsamer als die durchschnittliche House-Musik, sie groovt aber viel mehr.
Das Genre selbst existiert bereits seit mehr als 12 Jahren. Entstanden ist es in den Hinterhöfen der Townships Südafrikas. Da die Menschen dort häufig wenig Geld, kein Internet oder eine andere Verbindung zum Rest der Welt haben, sind die Beginne von Amapiano nur teilweise bis gar nicht dokumentiert.
In den sogenannten Hinterhof-Jazz-Clubs treffen sich jeher die Menschen in Südafrika, um Musik zu machen. Sie bringen Platten und CDs mit ihrer eigenen Musik mit und beschallen an Feiertagen gerne die gesamte Nachbarschaft. Gleichzeitig nehmen die Musiker dabei Eindrücke, häufig sogar ganze Tracks anderer, um zu Hause und in ihren Studios diese neu zu verarbeiten. In den Hinterhöfen der Townships entstehen häufig musikalische Rivalitäten zwischen den Nachbarn.
Als Amapiano entstand, wurden Keyboards neben den DJs aufgestellt. Andere Künstler konnten zu den elektronischen Bässen freestylen und neue Einflüsse einbringen. Daher stammt im Übrigen der Name: AmaPIANO. Inspiriert von solchen Hinterhofkonzerten starteten auch bekannte südafrikanische DJs wie Mfr Souls oder DJ Maphorsia damit, Amapiano in ihre Deep-House-Tracks einzubauen. Zum ersten Mal verbreitete sich das Genre in einer größeren Community.
Amapiano ist vergleichbar mit der Dance-Music Kwaito. Dieses Genre ist in den frühen 90er-Jahren entstanden und in Südafrika populär geworden. Kwaito-music wird - typisch für elektronische Musik - vor allem mit verschiedenen Sound-Softwares am PC gemixt. Bei diesem Musikstil wird Hip-Hop mit europäischem und US-Amerikanischen House und Techno vermischt. Auch dieses Genre stammt – wie viele Musikrichtungen von People of Color – vom Jazz ab. Im Gegensatz zu Kwaito-music ist Amapiano melodischer und beinhaltet durch die Piano-Einflüsse einen gefühlvollen Grundstil. In den Anfängen von Amapiano wurde kaum bis gar kein Gesang in der Musik verwendet. Die Producer setzten vermehrt auf Deep-House gepaart mit Klavier. Mittlerweile kommen aber immer häufiger Sprechgesang, rhythmische Vocal-Elemente und melodische Gesangsparts in dem Genre vor.
Mittlerweile lässt sich auch Amapiano in verschiedene Subgenres einteilen. Die bekanntesten Stile sind Dust und Private School.
Dust: Eher auf die elektronischen Elemente und die Bässe der House-Musik fokussiert, ist Dust einfacher gehalten und konzentriert sich vor allem auf den melodischen Teil der Musik. Vocals kommen in diesem Subgenre von Amapiano nur selten vor.
Private School: Diese Art von Amapiano wird häufig als die gehobenere Abspaltung bezeichnet. Hier fließen mehrere Jazz- und Piano-Elemente ein. Der Name kommt von einem einfachen Witz: Kids, die in Südafrika auf Privatschulen gehen können, gehören meist zur gehobeneren Gesellschaft, haben mehr Geld und Möglichkeiten im Leben. Dieses Subgenre wurde also als das Amapiano bezeichnet, welches eine Privatschule besucht hat.
Dem südafrikanischen Tanzgenre wird häufig eine musikalische Oberflächlichkeit zugeschrieben. Beschäftigt man sich allerdings genauer mit der South African Music, bemerkt man schnell die wichtige politische Dimension, die hinter diesem Musikstil steckt.
Amapiano zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass die Vocals in der jeweiligen Sprache und dem typischen Jargon der Künstler gesungen werden. Aufgrund der geschichtlichen Vergangenheit gibt es in Südafrika 30 verschiedenen Sprachen und noch einmal mehr Dialekte. Allein das zeigt die Vielfalt von Amapiano. Nach der geschichtlichen Periode der Apartheid in Südafrika bietet Amapiano den People of Color eine gute Möglichkeit, ihrer gewonnenen Freiheit und Lebensfreude erfolgreich Ausdruck zu verleihen. Die Menschen können und dürfen sie selbst sein; sie müssen sich nicht mehr anpassen und verarbeiten in Ihrer Musik sogar ihre eigenen Sprachen und sprachlichen Akzenten. „The people were excluded from where there were and from general society [...] It is a celebration of change“, erklärte die Journalistin und Amapiano-Expertin Shiba Melissa Mazaza gegenüber dem WDR.
Abgesehen von der Musik selbst ist Amapiano in jeglicher Hinsicht besonders und anders als bisherige Musikrichtungen. Das Genre wählt den unkonventionellen Weg: Die Vertriebswege und Marketingstrategien der einzelnen Musikerinnen und Musiker unterscheiden sich komplett von den bisher bekannten Wegen. Aus den Hinterhöfen heraus verbreitete sich das Genre zunächst vor allem über Taxis. Künstler brennen ihre einzelnen Tracks auf CDs, die sie an Freunde und Familie verteilen. Häufig landen diese Platten in den Händen von Taxi-Fahrern, die die Musik während ihren Fahrten hören. Damit erreichen die DJs mit ihrer Musik auch die Fahrgäste. Ein weiterer Weg, den sich die Producer gerne zunutze machen, sind die mittlerweile durch das Internet gegebenen Möglichkeiten, wie WhatsApp. Ein neuer Song wird an Freunde und verschiedene Gruppen weitergeleitet und von dort aus wieder in anderen Bekanntenkreisen geteilt. Ganz ohne Musiklabel oder Managerinnen und Manager schaffen es die Amapiano-Producer Reichweite zu generieren.
Seit ungefähr drei Jahren macht sich die South African Music auch außerhalb ihres Herkunftslandes einen Namen. Das gelingt ihr, besser als jemals einem Genre zuvor, vor allem durch die sozialen Medien. Amapiano-Producer schaffen es, bei der Schnelllebigkeit von Instagram und Co. mitzuhalten.
Manchmal spielt einem auch das Glück in die Karten: Zeitgleich mit Amapiano hatte auch Tik Tok seinen Peek in Südafrika. Die Producer sprangen direkt auf den Zug auf und entwickelten verschiedene, kurze Tänze zu ihrer Musik, die dann Menschen auf der gesamten Welt nachtanzten und somit ihre Tracks verbreiteten. Ein sehr populäres Beispiel ist die Amapiano-Dance-Challenge „Pouncing Cat“: hier gehen die tanzenden leicht in die Knie, bewegen sich mit dem Beat der Musik und haben dabei eine Anmutung von einer auf der lauerliegenden Katze. Der neuste Trend ist die sogenannte Umlando-Challange.
Die Tänze sind dabei generationenübergreifend. Man entdeckt immer wieder Videos von ganzen Familien, die gemeinsam Tanzen: vom fünfjährigen Kind bis hin zu den Großeltern. Auch der bisher weltweit erfolgreichste Amapiano-Track wird ständig und überall auf Social Media genutzt: Ameno Amapiano von Nektunez Ft. Goya Menor. Auch hier gibt es einen einprägsamen 15-sekündigen Abschnitt, der für Stories, Reels und in Tik Toks täglich mehrfach genutzt wird.
Mittlerweile wird Amapiano nicht mehr nur in Südafrika produziert. Auch in Deutschland ist die Musikrichtung immer häufiger zu finden. In Berlin entstehen jetzt auch die ersten Amapiano-Tracks durch die Gruppe Freak De L’Afrique. 2022 brachten Sie mit Yebo den ersten Amapiano-Song aus Berlin heraus. Zuvor hatte die Gruppe zwei Afro-House Singles veröffentlicht und vor allem durch diverse Veranstaltungen und Partys versucht, die afrikanische House-Musik in Deutschland zu etablieren. Mr. Wallizz von Freak De L’Afrique sagte gegenüber dem WDR: „Es war uns sehr wichtig, dieses Genre hier in Deutschland zu verbreiten. Jedes Mal, wenn wir einen Amapiano-Track auf unserer Party spielen, rasten die Leute aus. Der Song ist mit Lindi entstanden, einer Südafrikanerin, die mittlerweile in Berlin lebt. Sie ist Sängerin und Tänzerin und singt in ihrer Muttersprache Tswana. Dazu gesellt sich unsere einzigartige DJ Nomi, die in Deutsch singt.“
Im Gegensatz zu den meisten anderen Genres werden bei Amapiano alle Producer, die an einem Track mitgearbeitet haben, genannt. Die meisten Tracks sind deshalb auch Kollaborationen. Amapiano ist in jeglicher Hinsicht ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem jeder noch so kleine Mitwirkende gewürdigt wird. Durch dieses Verfahren wird das Genre nie langweilig und hält in unserer schnelllebigen Zeit problemlos mit.